Die Geschichte vor der Geschichte
Die Geschichte vor der Geschichte, oder wie aus Ideen Bücher werden

Im Jahr 2014 hatte ich das Vergnügen, zwei Bücher zu lesen, in denen die Protagonisten buchstäblich aus den Seiten heraustraten. Diese Figuren nahmen Einfluss auf den Leser oder sogar auf den Autor im realen Leben – manchmal auf eine rationale Weise, die man als „Zufall“ bezeichnen könnte, und manchmal auf eine irrationale Weise. Letzteres gefiel mir weniger, da es nicht so recht zu mir passte.
Die Vorstellung, dass Bücher lebendig werden, indem ihre Figuren außerhalb der Seiten aktiv sind, empfand ich jedoch als mystisch und faszinierend – sie erzeugte Gänsehaut. Beide Male haben mich diese Geschichten in Teilen fasziniert, berührt und schließlich nicht mehr losgelassen.
Immer wieder habe ich darüber nachgedacht, wie eine Erzählung gestaltet sein könnte, in der die fiktive Geschichte eines Buches auch in der Realität eine Rolle spielt – vielleicht sogar so, dass die Geschichte das Ende der Realität vorwegnimmt. Aber wie sollte das funktionieren?
Meine Bedingung an mein eigenes Skript war, dass sich alles am Ende realistisch, logisch und nachvollziehbar auflösen musste. Das war schwer umzusetzen, weil die Mystik zwar viel Gestaltungsspielraum bietet, am Ende aber nicht zwingend plausibel sein muss.
Damals begann ich mit einem Plot, der ein einfaches, aber grundlegendes Gerüst hatte: einen Anfang, einige Schauplätze und ein Ende. Allerdings enthielt dieses Ende keine Antwort, sondern eine Frage. Es war so etwas wie ein Klappentext mit Cliffhanger – ohne zu wissen, wie es ausgeht. Natürlich konnte das nicht so bleiben. Ich brauchte ein plausibles Ende.
Ich weiß nicht, wie oft ich an diesem Gerüst gearbeitet habe, um ein paar Dielen einzuziehen – doch jedes Mal stellte es sich als falsch heraus. Etwas stimmte nicht, nichts lief rund. Kein einziger Weg führte meine Erzählung zu einem nachvollziehbaren Ende. Meine wichtigsten Figuren verliefen sich im gedanklichen Gestrüpp und fanden keinen Ort, von dem aus sie die Geschichte so weiterspinnen konnten, dass es mich zufriedenstellte. Ich weiß auch nicht mehr, wie oft ich die ganze Idee und meine Aufzeichnungen beiseitegelegt habe.
Ausgetauscht oder gänzlich verworfen habe ich sie jedoch nie. Einen neuen Anfang zu suchen oder gar eine andere Geschichte zu formen, war für mich – wohl auch aus einer gewissen Sturheit heraus – vollkommen ausgeschlossen. Mein roter Faden musste bleiben. So und nicht anders, denn er war die Grundidee, die seit Jahren Bestand hatte und ohne die das Buch gar nicht hätte entstehen können.
Im Mai 2020 stieß ich bei meiner weiteren Recherche auf ein Stück Zeitgeschichte, das mir völlig unbekannt war – obwohl ich schon viel über die Region gelesen hatte. Diese Vorkommnisse haben mich so gepackt, dass sie unbedingt Eingang in mein Buch finden mussten. Damit wurde mein Plot allerdings noch schwieriger, als er ohnehin schon war.
Wenige Wochen später schlug der Blitz ein. Nach sechs Jahren hatte ich endlich die Lösung gefunden. Was für eine Erleichterung! Nun ging es an die Feinarbeit: an die Figuren, die Schauplätze und das Exposé.
Und dann sagte mir eine liebe, erfahrene Autorin bereits nach einem kurzen Blick, ohne alles zu kennen: „Das kannst du so nicht machen. Das ist zu viel, was du da hineingepackt hast.“ Ich erstarrte.
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